eBooks, Liebe und Sex: Wann gilt mein eBook als „18+“ bzw. jugendgefährdend?

Sie haben einen Roman geschrieben, in dem die Protagonisten auch körperlich zusammenfinden? Wenn Ihr Buch nicht ausschließlich zum Zwecke der Erregung des Lesers verfasst wurde, handelt es sich höchstwahrscheinlich nicht um Pornografie. (Aktualisiert am 3.4.2016)

Sollten sich explizite Szenen in Ihrem Werk finden, die eine positive, lebens- und liebesbetonende Tendenz aufweisen, dann ist es maximal „16+“. Weisen Sie Ihre Leser darauf hin, dass das Buch sinnliche Szenen enthält, denn manche Leser mögen lieber Bücher ohne Sex!

Amazon KDP bietet eine Altersklassifikation für eBooks an. Es geht darum, altersgruppenspezifische Bücher im Suchergebnis anzuzeigen; eine Technik, die vorerst nur in USA und UK verfügbar ist. In dieser Altersklassifikation kann auch “18+“ ausgewählt werden.
Jeder Autor hat somit die Möglichkeit, sein Buch freiwillig als „nur für Erwachsene“ beziehungsweise „jugendgefährdend“ einzuordnen.

Was bedeutet „18+“?

In Deutschland versteht man darunter laut „Bundsprüfstelle für jugendgefährdende Medien“ so genannte „Träger- oder Telemedien“, „die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu gefährden“.
„Verrohende Wirkung“ – „Anreiz zur Gewalttätigkeit“: Rohe Gewalt wird als einzige Lösungsmöglichkeit propagiert, die zu Lustgewinn und einer Steigerung des gesellschaftlichen Status führt.
„Anreiz zum Verbrechen“: Rassenhass oder Mord wird als legitim dargestellt, Selbstjustiz befürwortet.
– „Selbstzweckhafte Gewaltdarstellung“: Gewalt wird „in epischer Breite“ (Bundesprüfstelle) um „ihrer selbst willen“ und „nicht zum Erreichen eines Zieles“ dargestellt.
– „Aufruf zur Selbstjustiz“: der positiv dargestellte Einsatz von Gewalt außerhalb des staatlichen Gewaltmonopols (Ausnahme laut Prüfstelle: Notwehrhandlungen)
– „Unsittlichkeit“: Darstellung von sexuellen Akten, die „das Scham- und Sittlichkeitsgefühl gröblich verletzen“. Dazu gehört die „befürwortende Darstellungen von Vergewaltigung oder das Anpreisen sado-masochistischer Sexualpraktiken“.

Auch die Darstellung einvernehmlicher S/M-Praktiken kann auf Kinder und Jugendliche eine sexualethisch desorientierende Wirkung haben, da die Einvernehmlichkeit für noch in der Entwicklung befindliche junge Menschen nicht zweifelsfrei erkennbar ist. (Zitat Bundesprüfstelle)

Ebenfalls als unsittlich eingestuft werden befürwortende – als einvernehmlich beschriebene – Schilderungen von Sexualkontakten zwischen Erwachsenen und Kindern. (Zitat Bundesprüfstelle)

Die Freiheit der Kunst

Diese Vorgaben haben dazu geführt, dass lt. Wikipedia zurzeit ganze 428 (!) Bücher in Deutschland auf der Indizierungsliste stehen – darunter viele Werke aus der Nazizeit. Diese Bücher dürfen nicht öffentlich zum Verkauf angeboten werden, um Jugendliche unter 18 Jahren vor nachhaltiger Schädigung zu schützen.

Warum nur 428 Bücher, wo doch die Menge an pornografischen oder gewaltverherrlichenden Schriftwerken weitaus größer ist?

Laut Grundgesetz, Artikel 5 ist „Kunst“ frei von jeglichem staatlichen Eingriff. Um ein Werk in seiner Verbreitung gänzlich oder für Jugendliche behindern zu können, muss nachgewiesen werden, dass es sich nicht um Kunst handelt. Das fällt bei Filmen, Spielen und fotografischen oder fotografieähnlichen Darstellungen leichter, als bei Gemälden, Skulpturen … oder eben literarischen Werken. Wo kann man hier die Grenze ziehen?

Das „Mutzenbacher Urteil“: 1978 legte der Rowohlt Verlag das Buch „Josefine Mutzenbacher. Die Geschichte einer wienerischen Dirne“ von Felix Salten (auch bekannt für „Bambi“, verfilmt von Walt Disney) aus dem Jahre 1906 neu auf. Anders als beim Reh geht es in der „Mutzenbacher“ um Kinderprostitution, Inzest und das sehr promiskuitive Verhalten der teils minderjährigen Protagonisten. Die Darstellung sei „nicht künstlerisch verarbeitet“, diene nur „der Verschärfung von Reizen“, meinte die Prüfstelle und setzte das Werk erneut auf den Index. Der Rowohlt-Verlag klagte dagegen. Das ging bis zum Bundesverfassungsgericht, das 1990 urteilte: Das Buch sei „Ergebnis freier schöpferischer Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen und Phantasien“ dargestellt sind. Dass das Buch Pornografie sei, sei allein kein Anlass, ihm „Kunsteigenschaft“ abzusprechen. Der Staat (bzw die Bundesprüfstelle) darf keine „Stil-, Niveau- und Inhaltskontrolle“ durchführen und damit einem Werk die Eigenschaft, Kunst zu sein, absprechen.
1992 wurde die „Mutzenbacher“ erneut auf den Index gesetzt – diesmal lehnte das Bundesverfassungsgericht eine weitere Behandlung des Falls ab. Das Buch steht also noch bis mindestens 2017 auf dem Index verbotener Bücher.
Trotzdem ist Saltens Werk in vielen Versionen frei im Buchhandel erhältlich, etwa bei Thalia als eBook, bei skoobe oder auch im Kindle Shop – unter „Erotik“ gelistet und deshalb nicht in der allgemeinen Bestsellerliste sichtbar. Auch auf gutenberg.org ist das Buch jederzeit zu finden.
Ganz nebenbei … falls Sie als Jugendlicher den Comic „Das kleine Arschloch“ von Walter Moers gelesen haben sollten: auch hier wurde die Prüfstelle tätig; doch wurde „der Kunstcharakter insgesamt höher bewertet als die Jugendgefährdung“. Sie können also aufatmen.

Für Bücher gibt es aus diesem Grund auch kein freiwilliges Indizierungssystem wie etwa die „FSK“, die Filme und Spiele klassifiziert.
Der „Index Librorum Prohibitorum“ des Vatikans wurde 1966 abgeschafft. Es gibt allerdings heute noch eine Liste des „Opus Dei“, die etwa „Sakrileg“ von Dan Brown verbietet.
Die „Giftschränke“ wurden bereits in den 90er-Jahren aufgelöst: Öffentliche deutsche Bibliotheken sind nicht verpflichtet, eine Altersfreigabe bei Büchern zu organisieren – auch in der städtischen Bücherei um die Ecke gibt es in der Regel keinen abgeschotteten „Bereich für Erwachsene“ wie etwa in Videotheken. Ob man „Shades“ an einen Zwölfjährigen verleiht, liegt wohl im Ermessensspielraum des Mitarbeiters.

Die Verantwortung des Autors und Verlegers

Die Einordnung eines Romans als „18+“ obliegt also in erster Linie dem Autor oder Verlag selbst – jeder sollte angesichts der obigen Hinweise abwägen, ob sein Werk Jugendliche in ihrer Entwicklung beeinträchtigen kann. Ein Liebesroman mit sinnlichen Szenen gehört sicherlich nicht dazu. Ebenso wenig ein Thriller mit Gewaltszenen – so sie innerhalb unserer gesellschaftlichen Normen stattfinden.

Ruft Ihr Buch zur rohen Gewalt auf? Propagiert es Rassenhass? Vergewaltigung? Erklärt es sadistische Praktiken zum notwendigen Bestandteil menschlicher Sexualität, werden Menschen aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Ausrichtung entwürdigt, gequält und geschändet? Wird Kindern erklärt, die unziemliche Annäherung durch Erwachsene sei positiv und wünschenswert? Dann sollten Sie Ihr Buch nicht veröffentlichen und die Hilfe eines Psychologen suchen.
Lesen sie dazu mehr im Strafgesetzbuch unter § 184, § 184a und § 184b.

Freiwillige „16+“ und „18+“ Klassifizierung:
– Laut dem Fragebogen der „Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter e.V. (FSM)“ ergibt sich: „Eindeutige sexuelle Handlungen“, die rein textlich und nicht „derb-obszön“ dargestellt werden, sind als „12+“ zu klassifizieren. Für „ungewöhnliche sexuelle Praktiken“ (BDSM) und „Fetischismus“, sofern diese deutlich (!) im beiderseitigen Einverständnis der Protagonisten erfolgen und keine Diskriminierung oder Herabwürdigung enthalten, hüpft die Alterstufe auf „16+“.
– Erst mit deutlichem „Sexismus“, der herabwürdigenden Darstellung eines Menschen oder der Diskriminierung einer sexuellen Ausprägung sowie einer „derb-obszönen Sprache“ (sofern sie nicht in der direkten Rede die Charakterisierung der Protagonisten unterstützt und somit ein „Kunstgriff“ ist), schnappt die „18+“-Falle zu. Denn genau solche Inhalte können Jugendliche gefährden und ihre Wertvorstellungen negativ beeinflussen.
Sollte Ihr Text anstößig sein, „derb-obszön“ um den „Akt“ als solchen kreisen und ausschließlich „der Erregung des Lesers“ dienen, dann möchte ich auf die KDP Richtlinien verweisen: „Wir akzeptieren keinerlei Pornographie oder anstößige Beschreibungen expliziter Geschlechtsakte.“

Anders als der Text im Buch selbst werden Cover, Titel und Klappentext-Beschreibung gewertet, da die für jedermann einsehbar sind. Hier greifen unter Umständen schärfere Vorgaben seitens der Shops. Sofern Sie nicht riskieren wollen, dass Ihr Buch einer „Säuberung“ anheim fällt, sollten Sie auf das Zitieren expliziter Szenen, auf einen allzu eindeutigen Buchtitel und hemmungslose Übertreibungen, was den Inhalt des Buches angeht, verzichten.

Die Verantwortung des Händlers

Was passiert, wenn Amazon Ihren romantisch-sinnlichen Liebesroman ohne Ihr Zutun selbst als „18+“ in den Erotik-Bereich einordnet? Das Buch wird in den allgemeinen Listen nicht mehr angezeigt, die „Leseprobe“ gesperrt, die „Sichtbarkeit“ im Shop wird stark herabgesetzt. Mit dem Label „18+“ wird Ihr Buch auch in Suchergebnissen ausgeblendet. Damit will Amazon verhindern, dass augenscheinlich pornografische oder sonstwie jugendgefährdende Werke Kindern und Jugendlichen angeboten werden.
Wie kann es zu einer solchen „Verbannung“ kommen? Wenn Sie den Titel Ihres Buches um den Begriff „Erotischer Roman“ ergänzen, „Nur für Leser ab 18“ oder „Achtung: explizite Sexszenen“ in den Klappentext schreiben; „verbotene“ Worte wie „Gangbang“ oder „Porno“ im Titel anführen sowie als Sahnehäubchen „aufreizend verhüllte“ oder gar unverhüllte Körperteile auf dem Cover abbilden: dann signalisieren Sie Amazon, dass es sich um ein Werk handelt, das Jugendliche gefährdet. Und dass Sie damit aktiv um Aufnahme in den illustren Kreis der „Schmutz und Schund“-Literatur bitten.
Bei deutlichen oder „deutlich verhüllten“ Cover-Fotos kann der US-Konzern schnell tätig werden – egal, was im Buch selbst steht. Da dann der „Verbannungsvorgang“ in USA passiert, ist es meist unmöglich, das Werk wieder aus der „18+“-Falle zu befreien, auch wenn der Inhalt des Werkes mit Sex oder roher Gewalt nichts zu tun hat.
„Ist der Verkauf dieses Produkts für Sie nicht akzeptabel?“ Diesen Link stellt Amazon jedem Leser bei jedem eBook zur Verfügung – und verweist dann auf die Bundesprüfstelle. Die Behörde selbst meint dazu: „Privatpersonen, denen ein Medium jugendgefährdend erscheint, können selbst keinen Antrag und keine Anregung zur Indizierung an die Bundesprüfstelle richten.“

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One comment

  1. Das ist der erste fundierte Artikel, den ich zu diesem Thema gelesen habe. Auf Facebook und in Foren finden sich ja fast nur Spekulationen … 
    Vielen Dank!

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